Joachim Camerarius der Ältere (1500-1574) gilt als bedeutendster deutscher Philologe des 16. Jahrhunderts nach Erasmus von Rotterdam (F. Stählin) und zählt zu den vielseitigsten Gelehrten des deutschen Protestantismus (L. Mundt).
Camerarius wurde im Jahr 1500 als Sohn einer Ratsherrenfamilie in Bamberg geboren. Während seines Studiums in Leipzig, Erfurt und Wittenberg knüpfte er freundschaftliche Kontakte zu jungen Gelehrten, die später zu führenden Persönlichkeiten des deutschen Humanismus wurden. Auf Fürsprache Philipp Melanchthons wurde Camerarius 1522 in Wittenberg zum Professor für Rhetorik ernannt. 1526 ging er nach Nürnberg und unterrichtete gemeinsam mit seinem Studienfreund Eobanus Hessus am neuen Gymnasium. Im Jahr 1535 übernahm er die Gräzistik-Professur an der Universität Tübingen und trug maßgeblich zur Reform der Artistenfakultät und der Universitätsstatuten bei. Auf Melanchthons Vermittlung wechselte er 1541 nach Leipzig, wo er als Professor für Latinistik und Gräzistik tätig war und die Reorganisation der Universität vorantrieb. Camerarius stand zudem als schul- und kirchenpolitischer Berater in hohem Ansehen und gilt heute als “Geburtshelfer eines sächsischen Konfessionsluthertums” (R. Kößling). Nach langer Krankheit starb er 1574 in Leipzig.
Das gedruckte Gesamtwerk des Camerarius wird in über 950 Ausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts überliefert und umfasst ca. 930 Werke und über 2200 gedruckte Briefe in lateinischer und griechischer Sprache. Kaum ein Zeitgenosse im deutschen Sprachraum – seinen Freund Philipp Melanchthon ausgenommen – hat ein ähnlich breites gelehrtes Œuvre hinterlassen: Camerarius publizierte Ausgaben und Kommentare zu antiken Autoren, übersetzte aus dem Griechischen und Deutschen in die lateinische Sprache, schrieb Lehrbücher für den schulischen und akademischen Unterricht, schuf eigene Dichtungen in lateinischer und griechischer Sprache, verfasste naturkundliche, theologische, historische und biographische Schriften und steuerte Paratexte zu zahlreichen Publikationen seiner Zeitgenossen bei. Teile seiner umfangreichen Korrespondenz erschienen bereits zu seinen Lebzeiten im Druck.
Dieses umfängliche und vielseitige Werk wurde im Projekt ‘Opera Camerarii’ (2017-2019) erstmals bibliographisch und inhaltlich erschlossen. Das Folgeprojekt “Camerarius digital” (2021-2024) verfolgt das Ziel, die griechischen und lateinischen Werke per OCR in lesbaren Text zu transformieren und durch ein Sach-Lexikon zu erschließen.
Zu Vita und Werk des Camerarius vgl. Joachim Hamm: Joachim Camerarius d.Ä. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 1. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u.a. Berlin 2011, S. 425-438.